Black Bag – Doppeltes Spiel
Titel: Black Bag – Doppeltes Spiel – Kritik von Philipp Schwarz Offene Bücher sind nicht selten am Schwersten zu lesen: Steven Soderberghs Black Bag – Doppeltes Spiel ist ein eleganter Agententhriller, der sich bisweilen zum Agatha-Christie-Krimi verdichtet. Es ist eigentlich ein alltäglicher Moment ehelicher Vertrautheit. George (Michael Fassbender) und Kathryn (Cate Blanchett) erwarten Gäste, er hat bis gerade eben noch das Essen zubereitet und nähert sich nun der Schwelle des gemeinsamen Schlafzimmers, in dem sie sich gerade für den Abend umzieht. Doch sobald Georges Blick auf seine Frau fällt, erstarrt Kathryns Körper in einer elegant zurückgebeugten Pose, sie lässt ihren Morgenmantel von den Schultern gleiten und streift dann, nach einer wohlgesetzten Pause, eine dünne Hose über ihre Beine, ohne dabei jedoch die Haltung ihres Kopfes zu ändern oder ihren Blick zu senken. Trotz der spärlichen Bekleidung hat ihr Anblick dabei nichts Schutzloses oder gar spontan Erotisches, im Gegenteil: Kathryn hat sich selbst zu einer präzise durchkomponierten Erscheinung gemacht, die den Blick, der auf sie gerichtet ist, fesselt und kontrolliert – und dadurch auf Abstand hält. „Ich kann spüren, wie du mich anschaust“ raunt Kathryn George zu, um dann, nach Georges pflichtschuldig dahingestotterter Entschuldigung hinzuzufügen: „Es gefällt mir.“ Everybody Knows Das Gesehen-Werden ist der natürliche Zustand, in dem sämtliche Figuren in Steven Soderberghs Agententhriller Black Bag existieren. George und Kathryn arbeiten beide für den britischen Geheimdienst und anders als in vielen Filmen mit einer ähnlichen Prämisse (Mr. & Mrs. Smith, True Lies) wissen beide von dem Agentendasein des jeweils anderen. Mit professioneller Nüchternheit sprechen sie über ihre gemeinsame Arbeit – und falls etwas einmal der Geheimhaltungspflicht unterliegt, so wird mit dem Hinweis, dass diese Information im „black bag“ sei, jegliche Nachfrage unterbunden. Natürlich hat das zur Folge, dass man mit den magischen Worten „black bag“ prinzipiell alles dem Zugriff des Partners entziehen könnte, Berufliches ebenso wie Privates. Doch diese scheinbare Möglichkeit der ungehemmten Verschleierung ist in Wahrheit keine: Wie George an einer Stelle ausführt, gehen Kathryn und er davon aus, dass sie beide ihren geheimdienstlich geschulten Blick und vor allem die geheimdienstlichen Überwachungssysteme, die ihnen zur Verfügung stehen, einsetzen, um den jeweils anderen beständig auszuspionieren – auch und gerade bei jenen Aktivitäten, die als „black bag“ deklariert sind. George und Kathryn leben also in einer Welt der vollkommenen Offenheit: Man weiß alles über den anderen und man weiß vor allem auch, dass der andere alles über einen selbst weiß. Diese Offenheit ist nicht nur auf das Ehedasein der beiden beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf ihr soziales Umfeld – ihr gesamter Freundeskreis scheint aus weiteren Kollegen und Kolleginnen aus dem Geheimdienst zu bestehen, allen voran den beiden Paaren Clarissa und Freddie (Marisa Abela und Tom Burke) und Zoe und James (Naomie Harris und Regé-Jean Page). Scheinbar sind zwischenmenschliche Beziehungen, seien sie nun freundschaftlicher, erotischer oder romantischer Art, für die Figuren in Black Bag nur dann möglich, wenn der eigene gottgleiche Blick erwidert werden kann. Diese Form der sozialen Beziehung ohne jegliche Geheimnisse wird auf eine harte Probe gestellt, als es Hinweise auf einen Verräter in der Geheimdienstabteilung gibt: Ein Computervirus wurde entwendet, ein Agent wurde bereits ermordet und George wird nun damit beauftragt, die undichte Stelle zu finden. Sein Verdacht richtet sich schnell auf seinen engsten Freundeskreis – und auch auf seine Frau. Dabei wird gerade die Atmosphäre der vollkommenen Offenheit zur größten Herausforderung bei seinen Ermittlungen. Denn schließlich enthüllen sich die verborgenen Ziele eines anderen Menschen oft gerade durch dessen Bemühen, gewisse Informationen im Verborgenen zu halten, und durch seine Bereitschaft, andere freimütig mitzuteilen. Wo beides – die Täuschung wie das Geständnis – unmöglich ist, weil alle Informationen ohnehin offen zutage liegen, wird das Innenleben des Gegenübers schnell zum undurchdringlichen Mysterium. Wie George bald merkt: Es ist manchmal gerade das offene Buch, das am schwersten zu lesen ist. Von der Angel losgerissen Im Zuge von Georges Ermittlungen entspinnen sich in Black Bag bekannte Standardsituationen des Agententhrillers, die Soderbergh mit großer visueller Präzision und Gestaltungslust inszeniert: die Überwachung eines fernen Fleckchens Erde per Hightech-Satelliten, ein konspiratives Treffen in einem abgeschiedenen Natursetting, die Konfrontation mit einem abgebrühten Vorgesetzten (Pierce Brosnan, der Ende der 90er ja auch einige Feldeinsätze als MI6-Agent hatte). Doch die zentralen Szenen des Films entspringen einem ganz anderen Universum, nämlich dem Agatha-Christie-Krimi: Zweimal, zu Anfang des Films und gegen Ende, versammelt George sämtliche Verdächtige – das heißt, all die Menschen, die ihm am nächsten und wichtigsten sind – zum Abendessen bei sich und Kathryn zu Hause. Das Zimmer, in dem sich die Tafel befindet, wird an einer Seite von einer breiten Glasfront begrenzt, durch die wir die versammelte Gemeinschaft wie in einem Versuchslabor betrachten. Lockere Gespräche über Privates und Alltägliches gleiten ab in den gegenseitigen Austausch von persönlichen Vorwürfen, der schließlich in lautstarke Gefühlsausbrüche mündet. Nicht die Konfrontation mit dem Einzelnen, sondern die Dynamik der Gruppe ist es, an der George die Lösung des Rätsels abzulesen hofft. Nur ist George leider kein unbeteiligter Beobachter, kein außenstehender Detektiv wie Hercule Poirot, sondern er ist selbst Teil dieser Gruppe. Was immer sich in den vielfältigen Interaktionen des Abends enthüllen mag, er kann es nicht direkt beobachten, sondern er ist auf seine Erinnerungen und die nachträgliche Interpretation angewiesen. Für diese Kontemplation schickt ihn Soderbergh zum Angeln auf einen ruhigen, abgeschiedenen See. George wirft die Leine aus, Eindrücke vom vorangegangenen Abend ziehen vor seinem inneren Auge vorbei, plötzlich scheint sich eine Enthüllung anzubahnen, die Leine spannt sich – doch schon nach wenigen Sekunden hat sich der Fisch, den George sowohl buchstäblich als auch metaphorisch an der Angel hatte, wieder losgerissen. Es ist ein visueller Gag, fast ein Kalauer, der das Spielerische in Soderberghs Inszenierungsweise betont: Stets ist der Film als ein künstliches Konstrukt erkennbar, dessen Wert und Zweck darin besteht, dass seine einzelnen Elemente in der Wahrnehmung eines äußeren Publikums möglichst präzise und elegant ineinandergreifen. Das Spiel ist für die Figuren in Black Bag von Anfang an manipuliert. Aber irgendwie wissen auch das alle. alle neuen Trailer Es gibt bisher noch keine Kommentare. Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.