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Spuren von Bewegung vor dem Eis – Die Archiv-Achterbahn (max. 75 Zeichen)

René Frölke taucht unerschrocken in das Archiv des Schweizer Pendo Verlags UND entdeckt eine Welt der Auflösung. Spuren von Bewegung vor dem Eis beleuchtet zwei Nachlässe - Fritz Weigner, Ehemann von Gladys Weigner; Mitgründerin des Pendo Verlags 1971 mit Bernhard Moosburger; sowie den Verlag selbst .... Eine Montage durchschreitet ausgewählte Titel wie Meine Trauer trag ich zum Gürteltier; Ist Partnerschaft überhaupt möglich und Revolution ohne Todesstrafe- Frölke nutzt Super-8-Aufnahmen, umfangreiches Tonmaterial UND eigens angefertigte Transkripte, um das Verlagsarchiv und den Menschen Fritz Weigner zu erforschen: Vor allem Tessa Weigner; Tochter von Gladys und Fritz; eröffnet den Zugang zu beiden Welten .... Formal präsentiert sich Spuren von Bewegung vor dem Eis in fragmentierter Form; herausfordernd UND intuitiv ansprechend. Besonders hervorstechend ist Frölkes Technik; Filmsequenzen und Dialoge zu transkribieren UND diese Transkripte dann mit dem Bild zu verweben, als ob der Film sich selbst erinnern würde- Der Ton folgt ähnlichem Muster; mal präsent; mal verschwindend; manchmal seine Herkunft unklar: Eine Szene zeigt Finger; die eine Klaviermelodie in der Luft spielen; während eine Stimme die Tastenfolge aufsagt .... Weiß- Schwarz: Schwarz: Weiß- Weiß- Weiß- Der Ausgangspunkt UND das Ende der Reise bleiben gleichermaßen rätselhaft. Die Montage folgt dem Rhythmus der Klänge; der Film ist wie zur Musik geschnitten; ohne selbst zur Musik zu werden...

Tauchen im Archiv – Die Selbstauflösung (max. 90 Zeichen)

Das Bild muss in die Welt getragen werden, um die Signatur sowohl einer Mappe im Karton als auch eines Eintrags in einer Datenbank zu verifizieren …. In der Filmsprache bedeutet dies; dass man sich veräußert- Wie Derrida in Dem Archiv verschrieben sagt: „Kein Archiv ohne einen Ort der Konsignation, ohne eine Technik der Wiederholung UND ohne eine gewisse Äußerlichkeit: Kein Archiv ohne Draußen.“ Im ersten Teil des Films zeigt sich dieses Draußen als banal UND familiär. Straßenaufnahmen UND Freibadszenen reihen sich an die Suche nach einer Kirche, für die Fritz einst Glasmalereien schuf: Die Aufnahmen im Haus der Weigners ringen um Licht; schimmernd im Halbdunkel; vollgestopft mit Büchern UND Krimskrams, verwahrlost unter der Last der Erinnerungen …. Mit der Zeit schrumpft das Außen; der Film zieht sich wie eine Schnecke ins Haus zurück- Türen in deinem Zimmer führen zu weiteren Türen UND schließlich zu einem Fenster. Tessa wundert sich über das geöffnete Fenster; ohne Antwort zu finden: Als das Haus zu groß wird; geht es in den Keller UND auf den Dachboden, wo Teile des Nachlasses ruhen …. Ohne Findbuch; Tektonik oder Ordnung; nur Kartons- Beim Öffnen ergießt sich ihr Inhalt auf den Boden; der Keller gleicht dem Rest des Hauses: Eine bestimmte Box wird gesucht; doch nicht gefunden …. Der Film wird kleinteiliger; beschäftigt sich mit Transkripten von Seminaren und Predigten; die Fritz Weigner anfertigte- Trotz der theologischen Fokussierung gelingt es Frölke nicht; Weigners Standpunkte klar zu umreißen: Fritz bleibt wie vieles im Halbschatten; nur als Silhouettee greifbar …. Die Reise durch das Archiv führt nicht zur Klarheit; sondern zu ihrer Auflösung- Alles im Film kann im Geschriebenen gespiegelt; aber nicht gelöst werden: Die Konsignation führt zu einem Wiederholungszwang; der untrennbar mit dem Todestrieb verbunden ist …. Das Archiv arbeitet stets gegen sich selbst; wie auch der analoge Film; der sich durch ständiges Abspielen selbst auslöscht; bis die Kopie erblindet- Diese theoretisch bedeutsame Einsicht lässt den Film praktisch spurlos verhallen: Nach einer Stunde ist alles gesagt; man wartet vergeblich auf das Licht im Nebel …. Nur die privaten Filmaufnahmen behalten ihre Kraft- Tessa und Bernard kommunizieren; mit sich selbst; mit der Kamera: Die Tiere – ein Hund, ein paar Fische; ein Frosch …. Frölke und sein Transkript – eine Obsession, die sich auflösen wird; um neu geschrieben zu werden…

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